​Partizipation wagen – 
Identifikation gewinnen

Bewusste Einbindung von Schülerinnen und Schülern schafft Atmosphäre und reduziert Konflikte

Haltung

  • Ich weiß, dass unsere Schülerinnen und Schüler von Strukturen und Personen profitieren, die ihnen Sicherheit, Beständigkeit und Orientierung im schulischen Rahmen geben.
  • Indem die Erfahrungen und Einstellungen unserer Schülerinnen und Schüler ernst genommen und sie einbezogen werden, vermitteln wir ihnen Wertschätzung.
  • Ich arbeite in einem Team, welches im Spannungsfeld zwischen Führungsnotwendigkeiten und Beteiligung der Schülerinnen und Schüler bewusst die Möglichkeiten einer intensiven Partizipation sucht, nutzt und bisweilen „riskiert“.
  • Ich weiß, dass unsere Einrichtungsleitung diese Haltung fördert sowie organisatorisch und mit eigenem Einsatz unterstützt.

Worum geht's?

In unserem Förderschwerpunkt verleiten gerade Stresssituationen zu defizitorientierten Handlungsmustern in der Begegnung mit den Schülerinnen und Schülern, aber auch in der Organisation von Unterricht und Schulleben. Es besteht die Gefahr, dass die meisten Entscheidungen für bzw. über die Jugendlichen getroffen und ihre Mitwirkungsfähigkeiten unterschätzt werden. Dabei können genau im verstärkten Einbezug der Kinder und Jugendlichen die Schlüssel zu einer langfristigen und stabilen Verhaltenskorrektur liegen.

Wie ermöglichen wir Partizipation? 

Eine bewusste Partizipationsstruktur hält das Partizipationsprinzip und die damit verbundenen positiven pädagogischen Effekte aufrecht.

Fest vereinbarte und ritualisierte bzw. über die Jahre gewachsene Strukturen, Aktionen und Projekte garantieren unabhängig von aktuellen Klassensituationen, alltäglichen Belastungen und Krisen, dass

  • die Schülerinnen und Schüler Begegnungsmöglichkeiten zum Austausch untereinander haben,
  • die Schülerinnen und Schüler ihre Vorstellungen und Bewertungen zur Einrichtung äußern können,
  • nach Umsetzungsmöglichkeiten für Ideen der Schülerinnen und Schüler gesucht wird,
  • es regelmäßige Angebote gibt, welche zielgerichtet die Mitwirkungsmöglichkeiten und die Verantwortungsübernahme durch die Schülerinnen und Schüler beinhalten und
  • Schülerinnen und Schüler Aufgaben und Rollen übernehmen können, in welchen sie die Einrichtung repräsentieren.

Wer tut was?  Beispiele für Partizipation

Das Leitungsteam und die Mitarbeitenden sind vornehmlich über das Instrument der Konferenzgestaltung für das Aufrechthalten von Strukturen und die wiederkehrende Durchführung von Aktionen verantwortlich, welche das Prinzip der Partizipation der Jugendlichen beinhalten:

In den dreiwöchig stattfindenden Konferenzen steht immer der Punkt „SMV“ auf der Tagesordnung. Die verantwortliche Lehrkraft gibt u.a. Informationen aus dem sogenannten SchülerInnen-Forum und der SchülerInnen-Umfrage weiter.

1.   Forum der Schülerinnen und Schüler: 

Zwei bis dreimal im Schuljahr treffen sich alle Schülerinnen und Schüler zum Austausch in der Turnhalle. Vom pädagogischen Personal sind lediglich die SMV-Lehrkraft, die beiden Vertrauenslehrkräfte sowie ggfs. das Leitungsteam dabei. Im ritualisierten Rahmen werden die Schülerinnen und Schüler über aktuelle Vorhaben oder anstehende Planungen an der Schule informiert, sie können eigene Themen und Wünsche einbringen sowie Vorschläge zu den genannten Vorhaben machen. Die Schülersprecherinnen bzw. Schülersprecher sind nach entsprechender Vorbereitung in die Gesprächsführung der Veranstaltung eingebunden.


Auswertung Wahl Vertrauenslehrerin und -lehrer sowie Wünsche, Anregungen an der Schule

2.   Umfrage unter Schülerinnen und Schülern:

BEISPIEL:

So wurde die Gestaltung der großen Pause basierend auf einem Anliegen aus der Schülerschaft komplett neu strukturiert. Die Schülerinnen und Schüler wollten nicht mehr „an die frische Luft getrieben werden“, sondern in der Pause auch mal chillen bzw. ihren im Pausenverkauf erstandenen warmen Snack in Ruhe essen. Mit der SMV wurden verschiedene Strukturen einer „Innen-Pause“ besprochen, im Wochenwechsel ausprobiert und schließlich ausgewertet. Es entstand ein Kompromiss, der bis heute trägt und zudem, aufgrund der Verteilung der Jugendlichen auf den Innen- und Außenbereich, die Häufigkeit von Pausenkonflikten deutlich reduzierte.

Schüler als Kampfrichter beim Basketballturnier




3.   Ritualisierte Aktionen und Projekte: 

Ebenso werden die jährlich wiederkehrenden Aktionen und Projekte stets in die Tagesordnung der Konferenzen übernommen.

Ritualisierte in der Jahreszeitenpädagogik verankerte Aktionstage wie das „Kartoffelpuffer-Apfelmus-Fest“ im Herbst oder das „Krapfen-Fest“ zur Faschingszeit werden von den Schülerinnen und Schülern in der Regel in ihrer Schulzeit an der Kolpingschule mehrfach erlebt. Dies erleichtert ihren Einbezug in die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder, die zum Gelingen der Veranstaltungen beitragen.

Nach diesem Prinzip finden Schuljahr für Schuljahr wiederkehrend Turniere und Sportveranstaltungen (Geschicklichkeits-Parcours, Basketballturnier, Fußballturniere etc.) statt.

BEISPIEL: Jährlich nach den Faschingsferien steht ein Schultag ganz im Zeichen des traditionellen Basketballturniers. Seit 12 Jahren wird es von einem festen Klassenteam und der entsprechenden Klasse organisiert. Da die Schülerinnen und Schüler die Kolping-Schule über drei Jahre von den Jahrgangsstufen sieben bis neun im gleichbleibenden Klassenverband mit dem gleichbleibenden Team von Pädagoginnen und Pädagogen besuchen, ist diese Klasse dreimal für die Organisation der Veranstaltung verantwortlich. Die vielen Aufgaben (von der Urkunden- und Spielplanerstellung am PC über die Organisation der Musikanlage und des Kampfgerichtes bis hin zur Kaderbestimmung für das Schülerteam zum Kräftemessen mit dem Lehrerteam) können durch den Wiederholungseffekt immer stärker in die Hände der Jugendlichen gegeben werden.

Kommentar zweier Schüler zum Basketballturnier

Jugendliche über ihr Mitwirken bei der Organisation (2:31 Min).

Mit der Aufgabe wachsen

4.   Schülerinnen und Schüler moderieren Veranstaltungen: 

Ein weiterhin fest verankertes Prinzip ist, dass bei Begegnungen und Schulveranstaltungen mit öffentlichem Charakter der Hauptteil der Kommunikation bzw. der Moderation möglichst von Schülerinnen oder Schülern übernommen wird. Dies gilt im kleineren Rahmen z.B. für die Begrüßung von Gästen oder das Erstgespräch zwischen Schülerfirma und interessiertem Kunden, aber auch für die Moderation bei öffentlichen Veranstaltungen der Einrichtung.

BEISPIEL: Im Juni 2018 fand die 25-Jahrfeier der Einrichtung statt. Im gut 90-minütigen Festakt hatten zwei Schülerinnen die kompletten Moderationsaufgaben übernommen. Gut vorbereitet und gleichzeitig zunehmend locker und spontan begrüßten sie die Gäste, moderierten die einzelnen Programmpunkte an und führten „Sofagespräche“ mit Ehrengästen.

​Austausch der Generationen

Warum ist Partizipation wichtig?

Schülerinnen und Schüler mit herausforderndem Verhalten wirken häufig ich-bezogen, wenig an gesellschaftlichen Werten und Normen ausgerichtet und haben Schwierigkeiten im sozialen Umgang, d.h. in der Kontakt- und Beziehungsgestaltung. In ihrer Wahrnehmung wiederum erleben und bewerten sie aufgrund ihrer Lebenserfahrung viele Mitmenschen sowie ihre Umwelt als negativ oder feindselig. Sie erschweren und stören auf unterschiedliche Weise das Zusammenleben in Schule und Unterricht oder ziehen sich zurück. Häufig muss sich das Auftreten der Erwachsenen an den Aspekten Orientierung und Führung ausrichten.

Der hier beschriebene Grundgedanke versucht trotzdem ihren Einbezug offensiv und zielführend zu garantieren. Gleichzeitig ist damit einem sonderpädagogischen Grundprinzip einer Facheinrichtung für als schwierig geltende Kinder und Jugendliche Rechnung getragen: Nämlich dem Prinzip der Öffnung, nach Innen wie nach Außen.

Worauf ist zu achten?

Manche Aktionen und Projekte sind an einzelne Personen und deren Stärken und Interessen gebunden und können nicht zwanghaft aufrechterhalten werden, wenn die Lehrkraft selbst nicht mehr motiviert ist oder die Einrichtung verlassen hat. Neue Kolleginnen und Kollegen erleben andererseits den Erfolg dieses Prinzips und werden motiviert, eigene Ideen einzubringen, die sich durch eine hohe Schülerverantwortung auszeichnen.

Was nimmt man wahr?

Regelmäßig stellen Leitungsteam und Lehrkräfte z.B. im Rückblick eines Aktionstages oder einer Großveranstaltung fest, dass sich der mutige Ansatz bewährt hat. Häufig haben sich die Schülerinnen und Schüler gerade in ihrer veränderten Rolle in einem Veranstaltungsverlauf gesteigert, was ihr Auftreten oder ihre Kommunikationsfähigkeit betrifft.

Dieser Baustein wurde an der Adolph-Kolping-Schule erarbeitet und erprobt.

Zugehörige Theoriemerkmale:

"Präventive Wende" als bewusste Entscheidung in der pädagogischen Schulentwicklung.

Schule als Ort, an dem es Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen gut geht.

Statt jedem das Gleiche jedem das, was er braucht.

Dieser Artikel ist ein Baustein der ISB-Veröffentlichung

Haltung und Handlungssicherheit –

Schulentwicklung bei herausforderndem Verhalten.

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Bilder: © ISB. Andreas Feiler / Rosalie Heinen